Beschreibung:

[10], 678, 99 S. Gebundene Ausgabe.

Bemerkung:

Ein gutes und sauberes Exemplar. - In Fraktur. - Im ersten Kapitel des Zeremonialwerkes der "Großen Herren" definierte der Autor, was er unter dem "Staats-Ceremoniel" verstehe : es schreibe den "äußerlichen Handlungen der Regenten, oder derer, die ihre Personen vorstellen, eine gewisse Weise der Wohlanständigkeit vor, damit sie hierdurch ihre Ehre und Ansehen bey ihren Unterthanen und Bedienten, bey ihren Hoch=Fürstlichen Anverwandten und bey anderen Mitregenten entweder erhalten, oder noch vermehren und vergrössern. Die Staats-Ceremoniel-Wissenschaft regulieret die Handlungen der großen Herren, die sie in Ansehung ihrer selbst, ihrer Familie und ihrer Unterthanen vornehmen, und setzet auch dem, womit sie andere Fürsten oder ihre Gesandten beehren, eine gewisse Ziel und Maaße." "Zeremoniell" ist offensichtlich der Begriff kodifizierter Akte - "äußerlicher Handlungen" - für Zwecke der Repräsentation fürstlicher Macht. Dieses Zeichensystem richtet sich sowohl nach innen, auf das fürstliche Haus ("Anverwandte") und auf das Territorium ("Unterthanen"), als auch - in historischer Perspektive vor allem -nach außen, auf die Beziehungen zu anderen Souveränen und Territorien. Deutlich ist, daß dieses Zeichensystem eine unverzichtbare politische Funktion zu erfüllen hatte, die um so wichtiger wurde, je stärker sich die Rollen der Person des Souveräns und seiner dynastischen Verbindungen im machtpolitischen System des europäischen Absolutismus auszubilden begannen. Dieser Entwicklung korrespondiert die Zunahme zeitgenössischer Veröffentlichungen, die sich mit Historie und Nutzen des Zeremoniells an den europäischen Höfen beschäftigten. Einige dieser Titel nennt Rohr schon in der Vorrede der "Großen Herren", andere werden von ihm später erwähnt. Sicher ist, daß er sich - auch in kritischer Abgrenzung zum eigenen Unternehmen - vollkommen in dieser Literaturgattung auskannte. Gottfried Stieves "Europäisches Hoff=Ceremoniel", das Rohr als Sammlung nur "specielle[r] histori-sche[r] Anmerckungen" ansah, bestimmte den Ort, den "das so genente Ceremoniel" im Feld der zeitgenössischen politischen Wissenschaften einnahm. Zunächst gehörte es zu den "sublimesten Theilefn] der Historie". Überdies wissen die "Politici, sonderlich aber practici, [...] daß die Praerogativa oder der Vorzug, welchen die irdischen Götter auf Erden, einer für dem andern zu haben prätendiren, in der Politica, nebst dem Jure Majestatis, das vornehmste und wichtigste Capitel ausmachefn]". Kernstück des Zeremoniells war die Lehre von den "Praerogativa", also von den historisch ausgebildeten Vorrechten im Selbstverständnis und in der Selbstdarstellung der europäischen Monarchien untereinander und innerhalb des so vielschichtig organisierten Gebildes des alten Deutschen Reiches. Der Sammlung und Ordnung der diplomatischen Vorrechte, des oft heftig umkämpften "Vortritts" der Gesandten der einzelnen Reichsglieder - von der Sichtbarmachung des Majestätsrechts des Kaisers bis zu den diplomatischen Ansprüchen des kleinsten Grafenhofes -, galten jene zeremoniellgeschichtlichen Sammelwerke, für deren Charakter Johann Christian Lünigs "Theatrum ceremo-niale historico-politicum", das in zwei Teilen 1719 in Leipzigerschienen war, den sprechendsten Titel abgeben kann. Die traditionelle Theater-Metapher zur Beschreibung des politischen "Schauplatzes" machte die Zwecksetzung dieses Sammelwerks von praktizierten politischen und diplomatischen Ritualen in der Repräsentation des Fürstenstaates sinnfällig: die "irdischen Götter" bedurften eines zum Pompösen gesteigerten Apparates ihres In-Erscheinung-Tretens, der den Rollencharakter theatralischer Auftritte zur Voraussetzung hatte. Den Anspruchsritualen des Vortritts im Gehen, Stehen und Sitzen (bis zum Untergang der europäischen Feudalgesellschaft Kernstück jeder höfischen Etikette) entsprachen die Regelwerke für die höfischen Titulaturen. Auch für diese Zwecke hatte Lünig - neben vielen anderen historisch-politischen Arbeiten - ein Musterbuch veröffentlicht. Etwas früher als Lünigs Werke waren die "Teutsche(n) und Ceremonial-Politica" (1700) des Friedrich Wilhelm von Winterfeld erschienen, in denen auf exemplarische Weise das Wesen der "Praerogativa" als wesentlicher Bestandteil der praktischen Politik beschrieben worden war. Aber auch dieses Werk war, wie Lünigs "Theatrum ceremo-niale", eine Sammlung von Exemplazuden nach Anlässen geordneten Möglichkeiten zeremonieller Praxis in Hof und Staat. Der Charakter einer nur beschreibenden historischen Beispielsammlung war es, den Rohr mit seiner zweibändigen "Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft" überwinden wollte. Die Vorrede zu den "Großen Herren" sagt deutlich, was er mit seinem methodischen Neuansatz beabsichtigte. Es ging um nichts weniger als den Anspruch einer wissenschaftlichen Bearbeitung des Zeremoniellwesens als Gegenstand gesellschaftlicher Gebräuche. Der Schüler Christian Wolffs ... versuchte, den gesamten Stoff in "neue allgemeine Lehr=Sätze" zu bringen, um die Exempla einem begrifflichen System unterzuordnen. Der selbstbewußt erhobene Anspruch, aus der traditionellen Lehre von den "äußerlichen Handlungen" des politischen Lebens eine "Wissenschaft" machen zu wollen, setzte die Erkenntnis voraus, "daß man noch kein Systematisch und Philosophisch Werck von den weltlichen Ceremonien" habe. Der in diesem Zusammenhang überraschende Bezug auf die Philosophie wurde im Hinweis auf den Ursprung des Rohrschen Neuansatzes erklärt. Rohr verwies auf Christian Wolffs Moralphilosophie, die "Vernünftigen Gedancken von der Menschen Thun und Lassen", die 1720 erschienen waren und denen unmittelbar darauf, 1721 - die "Ethik" seiner deutschen Schriften systematisch ergänzend - Wolffs deutsche "Politik", die "Vernünfftigen Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen", folgten. Wolffs Moralphilosophie war auf den Begriff der "Vollkommenheit" ausgerichtet, wie der der "Glückseligkeit" die Erkenntnis vom gesellschaftlichen Handeln der Menschen bestimmte. Die Regeln der "Vollkommenheit" lenkten auch die Entfaltung der "Ceremonien" (Cap. 3, § 179), von denen Wolff nur insoweit sprach, als er meinte, "daß man eine besondere Wissenschaft von den Ceremonien machen könte" Wolff hat sie nicht geschrieben. Ganz offensichtlich aber war für Rohr diese Erwartung der Anlaß, seine zweibändige "Einleitung" einer solchen Wissenschaft der Zeremonien zu verfassen. (Nachwort) ISBN 3361002818