Beschreibung:

Zeichnungen, Radierungen, Texte und Collagen. Katalog zur Präsentation des "Folianten" und zur Ausstellung anlässlich der Betriebseröffnung des Deutschen Krankenhausmuseums in Oldenburg am 16. Mai 1992.. 101 S. Mit zahlr. auch farb. Abb. Broschiert.

Bemerkung:

Mit einer Original-Radierung auf grünlichem Büttenpapier, 27,5×20,5 cm, Plattenformat 24×18 cm, handschriftlich nummeriert (72/100) und mit seinem Namenskürzel ?HJ-92? versehen. - ?Die Fülle der Motive, die Horst Janssen seit über dreißig Jahren auf dem Papier festhält, ist kaum noch zu übersehen. Blättert man die zahlreichen Kataloge der Janssen-Ausstellungen und die von ihm illustrierten Bücher jedoch aufmerksam durch, so wird ein alles verbindendes Element deutlich: Man betritt eine verschlüsselte, existentiell bedrängende Bilderwelt, deren an die Wurzeln unseres Daseins gehendes Empfinden und Denken man sich nicht so rasch wieder entziehen kann. Janssen erweist sich schon beim ersten Blick auf sein Œuvre als ein genialer Fabulierer, der ein Panorama von Bildern vor uns ausbreitet, in denen Glück und Grauen, Eros und Tod, Wohl und Wehe nahe beieinander wohnen. Seine Zeichnungen, Aqua- relle und Radierungen tragen entsprechend häufig eine ambivalente Stimmung in sich, deren Striche und Formen, Schattierungen und Flächen von der Furcht, von der Ver- lassenheit und von der geheimen Sehnsucht nach Geborgenheit künden. Der Mensch mit seinem ganzen existentiellen Gewicht ist überall in den Zeichnungen Janssens anwesend, selbst dann, wenn nur die Vegetation dargestellt wird. In seinen Werken, deren jedes eine kleine schicksalhafte Welt für sich bildet, werden auf manieristische Weise wie im Vexierbild Gesichter zu Landschaften und Landschaften zu Gesichtern. Schaut man genauer hin, so erkennt man oft eine anthropomorphe, organoide Formen- vielfalt, bei der ein Detail das andere ergibt und sie sich wie die Zellen eines lebenden Organismus zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Als ich im Dezember 1965 zum ersten Mal einen Einstieg in den zeichnerischen Kosmos von Horst Janssen in der Kestner-Gesellschaft in Hannover tuen konnte - ich war damals als Medizinalassistent am Friederikenstift in der niedersächsischen Landeshauptstadt tätig - zogen mich die konzentrierte Dichte, die Komplexität und der Zauber der erzählerischen und gedanklichen Aussage dieser Bilder in ihren Bann. In diesem Werk schien mir damals, wie dies fünf Generationen zuvor bei den deut- schen Romantikern schon der Fall war, ein Künstler unserer Zeit, obwohl vollkommen von sich selbst durchdrungen, dennoch in der Lage zu sein, die Phänomene Liebe, Tod und Ewigkeit auf eine allgemeine metaphorische Ebene zu heben. Damals wie heute erscheint mir Janssen als ein Künstler, der den Phänomenen und Geheimnissen der Natur auf den Fersen ist, einer Natur, die gnädig und gnadenlos zugleich alles ergreift, verändert, wandelt und zu einem Ende führt. Unbeirrt und vorbehaltlos, durchaus aber auch mit einer spontanen Sinnenhaftigkeit, schaut der Künstler, einem Kinde ähnlich, in die Welt, um sie sich mit dem Zeichenstift zu erobern, sie nachzuempfinden und nachzuschaffen. Gegenüber diesem eher irrationalen Vorgehen mag ihm das experimentelle Tuen der Naturwissenschaftler, die zur Erkundung der Natur auf dem exakten Messen, Wägen und Zählen aufbauen, eher fremd sein. [?] Das Werk Janssens ist inzwischen zu einem riesigen künstlerischen Gebirgsmassiv in der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angewachsen. In diesen Bildern kommt ein Thema zum Tragen, das neben sinnenhaften, lebenszugewandten Darstellungen immer wieder im Werk von Horst Janssen auftaucht, das Leiden, das den Menschen im kleinen und großen auf seinem Weg durch die Erdenwelt begleitet, künstlerisch sichtbar und verstehbar werden zu lassen. Man kann in diesem Zyklus wie aber schon in früheren Zeichenserien - erinnert sei hier nur an die Para- phrasen zu Thomas Mann Selbstbildnisse zu Hanno's Tod" (1975) - eine Intention spüren, die bei den Romantikern, insbesondere bei Novalis, sichtbar wurde: die Krankheit, das Leid auch als ein schöpferisches Innehalten zu erkennen. "Unsere Krankheiten sind alle Phänomene einer erhöhten Sensation, die in höhere Kraft gehen will<< (Novalis). In der Kunstgeschichte hat diese Thematik eine große und lange Tradition. Schon seit der Antike haben die Künstler sich neben der Darstellung des Menschen und der Natur weit über die volkstümlichen Totentänze hinausgehend mit dem Phänomen des Leidens, der Krankheit und dem Tod auseinandergesetzt. Von dort spannt sich ein Bogen zu Leonardo da Vinci, zu Rembrandt über Vincent van Gogh bis zu Joseph Beuys. (Axel Hinrich Murken) + + + Deshalb lag es auch nahe über den Folianten hinaus alle Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen und Fotos, die Horst Janssen seit seinem Unfall am 19. Mai 1990 geschaffen hat, als eine in sich geschlossene Folge im Deutschen Krankenhausmuseum auszustellen. Nun ist dieser inzwischen groß angewachsene Werkkomplex, der den Genesungs- prozeß auf vielfältige Art und Weise aufzeigt, zu einem Band zusammengefaßt worden. Damit ist ein außergewöhnliches Kompendium zu Kunst und Medizin entstanden. In seiner Konzentration und Vielfältigkeit stellt es ein unvergleichliches künstlerisches Monument dar. (Axel Hinrich Murken) - Ein Mensch, der wie dieser norddeutsche Künstler mit dem und durch das Auge, das für ihn tatsächlich die wesentliche Außenstelle des Gehirns ist, lebt und einen eigenen Kosmos mit seinem Zeichenstift schafft, muß dessen Verlust in doppelter Hinsicht katastrophal empfinden. Genau dies drohte ihm, als am 19. Mai 1990 durch einen lebensbedrohlichen Unfall im eigenen Haus - neben anderen erheblichen Verletzungen (u. a. doppelter Beckenbruch, Schienbeinfraktur, Kopfwunde) - seine Augen mit Salpetersäure schwer geschädigt wurden. Mit dem drohenden völligen Versagen der Sehfähigkeit mußte gerade bei diesem Zeichner die Welt in einer alles einhüllenden Dunkelheit versinken, die dem Ende praktisch gleich kommt. Über den Leidens- und Heilungsprozeß in den folgenden Wochen und Monaten, über das allmähliche Wiedererwachen der physiologischen und künstlerischen Sehfähigkeit hat Horst Janssen aus der Sicht des Leidenden, des Ängstlichen und des Hoffenden einen überaus anschaulichen direkten Krankenbericht in seinem monumentalen Werk "Der Foliant - 19. Mai 1990" gegeben, der 1991 erschienen ist. Die Komplexität eines solchen Heilungsverlaufes wird hier, und in weiteren Zeichnungen, in bisher nicht dargestellter Weise von dem Künstler Janssen in fast all seinen Aspekten protokolliert, und von dem Patienten Janssen eigentherapeutisch verarbeitet. Dabei kommen die vielfältigen Beziehungen zwischen dem passiv Leidenden und seinen aktiv tätigen Ärzten, dem subjektiven Befinden und den nüchternen, wissenschaftlichen Bestandsaufnahmen der Mediziner eindrucksvoll zum Vorschein. Beobachtung und Imagination sind bei der Schaffung dieses Zyklus Hand in Hand gegangen. Man erkennt als Betrachter in der Abfolge der Zeichnungen, Collagen und Fotos, die diese viel Zeit und Geduld erfordernde Regeneration des Augenlichtes und der ungeduldig drängenden künstlerischen Arbeit des Patienten begleiten, wie die sichtbare Welt körperlich, psychisch und künstlerisch mühsam zurückerobert wird. Dem Höhlengleichnis ähnlich, in dem Platon die real existierende Welt hinterfragt, findet in verschiedenen Schritten der Zeichner Janssen aus dem Dunkel seines Körpers, das ihn einschließt, bedrückt und immobil macht, allmählich heraus und begreift aufs neue die Helligkeit des Tages wie ein ständiges Wunder. Auf ganz neue Art und Weise erlernt er das Sehen der Farben, der Perspektive, der Bewegungen ebenso wie der Räume, Menschen und Landschaften. ISBN 3923848455