Beschreibung:

71 Seiten; 22 cm; fadengeh., illustr. Broschur.

Bemerkung:

Exemplar mit Läsuren; Vorderdeckel lose u. mit Randläsuren; Seiten etwas nachgedunkelt; unaufgeschnitten. - Die letzten anderthalb Jahre habe ich im Gefängnis einer großen Stadt in Südrußland verbracht. Diese Stadt ist in den blutigen Chroniken der letzten Jahre verzeichnet, sie gehört zu jenen Städten, in welchen Todesurteile und Räubereien zu alltäglichen Ereignissen geworden waren. Fast diese ganze Zeit habe ich unter Menschen gelebt, die nach den allumfassenden § 279, Band 22 der Kriegsbestimmungen dem Kriegsgericht ausgeliefert waren. Um mich her erwarteten hunderte von Menschen die Todesstrafe. Und da die Menschen, die von den grausamen Gefängniswänden in einem engen Raum zusammengedrängt werden und dieselbe Luft atmen, vor einander keine Geheimnisse haben, so lag das Seelenleben dieser Menschen unverhüllt vor mir. Die Kriegsgerichte hatten vor meinen Augen mehr als zweihundert Urteile gefällt, und mehr als hundert Menschen wurden im Laufe jener Zeit gehängt. Obgleich ich der Vollziehung der Todesstrafe kein einziges Mal beigewohnt, kein einziges Mal die physische Agonie eines Gehängten mitangesehen habe, hatte ich doch Gelegenheit, im Laufe der vielen Monate Tag aus, Tag ein die geistige Agonie der Menschen zu beobachten, die des Todesurteils harrten, oder die bereits zum Tode verurteilt waren und auf Vollziehung der Todesstrafe warteten. Einige dieser Beobachtungen möchte ich mit den Lesern teilen. (Vorwort) // " ... Wenn man einem Kameraden auf die Schultern stieg, konnte man den Hinterhof des Bezirks überschauen. Ein kleiner, verwahrloster Hof. ... Im Hintergrund, etwa 25 Schritt vom Gefängnisgebäude entfernt, sah man einen grauen Bretterschuppen mit abgerissenem Dach, mit gesunkenen, im Laufe der Zeit dunkel gewordenen Wänden. Fast in der Mitte des Schuppens befand sich eine breite Eingangstür. ?Hier wird gehängt", erklärten mir die Kameraden." Ein Querbalken geht unter dem Dachgebinde durch. Ueber diesen Balken werden die Stricke hinübergeworfen. Die Bank steht gewöhnlich dort, manchmal wird sie auch zu uns in den Korridor hereingebracht. Die Ketten werden erst nach der Hinrichtung von den Leichen abgenommen ..." Der Henker lebte unter einem Dach mit uns, in der Nebenkammer hinter der Wand. Wenn er durch den Korridor an der Tür unserer Kammer vorüberging, stürzten alle ans Guckloch, um ihn zu sehen. Zuerst empfand ich einen Widerwillen dagegen, den Henker zu betrachten, ich ging nicht ans Guckloch. Aber schließlich war ich neugierig zu wissen, wie er aussah. Ich sah einen großen, stämmigen Mann von etwa 28 Jahren dem Aussehen nach, mit dunkel gebranntem, muskulösem Hals und glattem, blondem Haar. Er ging ein wenig gebeugt und wandte sich immer ab, wenn er an einem Gefangenen vorüberkam. Seine Gesichtszüge konnte man nicht gleich unterscheiden. Auf den ersten Blick konnte selbst ein voreingenommenes Auge in seinen Zügen nichts Besonderes, oder Schauriges entdecken. Ein gewöhnliches Bauerngesicht mit regelmäßigen, groben Zügen. Nur seine Augen liefen seltsam hin und her, offenbar konnte er einem Menschen nicht mehr ins Gesicht sehen. Wenn er bemerkte, daß feindselige, neugierige Blicke auf ihn gerichtet waren, verdüsterte sich sein Gesicht und er zeigte gleichsam fletschend die Oberzähne. In solchen Augenblicken sah er grausam und widerwärtig aus. ... " (Seite 19)