Beschreibung:

32 Seiten; 19 cm; klammergeh. Broschur.

Bemerkung:

Gutes Exemplar; geringe Gebrauchs- u. Lagerspuren; Seiten etwas nachgedunkelt. - Karl Kraus (* 28. April 1874 in Gitschin/Jicín, Böhmen, Österreich-Ungarn; ? 12. Juni 1936 in Wien, Österreich) war ein österreichischer Schriftsteller, Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach-, Kultur- und Medienkritiker. Zum Hauptwerk von Kraus gehören das satirische Drama Die letzten Tage der Menschheit (1918) und die Zeitschrift Die Fackel, die er von 1899 bis 1936 herausgab. Literarische Bedeutung erlangte er als einer der wichtigsten Aphoristiker deutscher Sprache. ... (wiki) // " ... Die Selbstlosigkeit, aus der deutsche Kulturhüter sich zu Protesten entschließen, ist wohl am deutlichsten in der Tatsache ausgeprägt, daß kein einziger von ihnen auch nur einen Augenblick vor der Möglichkeit erschrickt, man könnte seine Existenz zum Beweise heranziehen, daß in Deutschland gar keine Kultur in Gefahr ist. Vorbildlich bleibt die Unerschrockenheit jener 93 Intellektuellen, die keine Lüge gescheut haben, um darzutun, daß Deutschland verleumdet werde, und die damit auch tatsächlich den Krieg gewonnen haben, der nur später durch die Ungunst der Verhältnisse wieder verloren ging. So aus der Lüge eine Wissenschaft zu machen und aus der Wissenschaft eine Lüge - das trifft keine andere Nation, und weil jede andere so natürlich geartet zu sein scheint, daß sie vor der Wirklichkeit der Not nicht Redensarten machen wird und daß sie den Hunger für eine respektwürdigere Tatsache hält als selbst Gobelins, so glaube ich, daß sie sobald nicht in die Lage kommen wird, solche um jenes willen verkaufen zu müssen. Gelogen wird ja überall, wo gedruckt wird in der Welt; aber weiß Gott, im Zentrum Europas ist der Mensch schon vollends nach dem Ebenbild des Journalisten geschaffen. Hätten so idealen Geschöpfen Werke, die von den Gedanken der Menschlichkeit überfließen, je etwas anderes als Zeitvertreib gebracht - und den ehrlichem unter ihnen bloß Zeitverlust --, wie wären sie mit so frischem Mut in die Hölle der heutigen Sittlichkeit eingegangen ? Fragt man nun aber, wo denn jene durch die Zeitalter dringende Geistesmacht der Kunst geblieben sei, deren Versagen an der Menschenseele wahrlich das größere Rätsel ist als die Unwirksamkeit des unmittelbaren Eindrucks, so kann ich nur bekennen, daß, sowenig ich von dem Erfolg der Lektüre oder der Betrachtung halte, so unverrückbar mir der Glaube an die sittliche Fernwirkung des künstlerischen Schaffens bestehen bleibt, ohne den zu denken undenkbar wäre. Und daß sie ganz gewiß durch alle Offensiven des Satans, deren furchtbarste wir nun erleiden, hindurchgeht, um die Menschheit doch auf einem höheren Grade anzutreffen, als es der Fall wäre, wenn ein Schöpfungsfluch ihr geboten hätte, ohne ihre Sterne durch ihre Nacht zu finden. Von diesem Glauben an die tiefere Unentbehrlichkeit und Unveräußerlichkeit des künstlerischen Wesens zu dem flachen Wahn, daß wir ohne sein Objekt und dessen Betastung nicht auskommen, ist etwa so weit wie von meinem Schreibtisch zu einer Protestversammlung, in der sich Kunstspießer für die bedrohte Ehre einer Schöpfung ereifern, von welcher sie weniger wissen als von dem Speck, über den sie sich erhaben dünken, solange sie ihn haben. Solange ihnen die Vorstellung eines Lebens, in dem zum erstenmal die Selbstverständlichkeit zum Problem wird, und zum einzigen Problem, nicht an den eigenen Leib rückt. Denn das Quentchen Phantasie, schon heute zu empfinden, was man erst morgen erleben wird und was der nächste Nachbar schon gestern erlebt hat, bringt kein Künstler auf. Es bereitet mir ein in Worten gar nicht ausdrückbares Vergnügen, mich schützend vor die Viktualien zu stellen, wenn eine Regierung es wagte, sie für die Ideale der Wiener Künstlergenossenschaft verkaufen zu wollen. Was bleibt unsereinem übrig als an Butter zu denken, wenn sie für die hehre himmlische Göttin zu schwärmen beginnen? ? " (Seite 14 / 15)