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310 S. ; 24 cm kart., Softcover/Paperback, Exemplar in sehr gutem Erhaltungszustand
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Modisch ist sie nicht, die Erforschung von Stadt-Land-Beziehungen. Während sich in den letzten Jahren sowohl die moderne Stadt- als auch die moderne Agrargeschichte (mit speziellem Blick auf das Ländliche) stärker professionalisiert haben, wird die Beziehungsgeschichte beider Welten kaum systematisch gepflegt. Das gilt besonders, betrachtet man die Geschichte des Dorfes, dieses seltsam brechenden Zwischengebildes im Stadt-Land-Kontinuum. Hier setzt der vorzustellende, von Clemens Zimmermann herausgegebene Sammelband an. Dorf und Stadt sollen zum einen als ?eigenständige und aufeinander bezogene Subjekte innerhalb der Gesamtheit der Stadt-Land-Beziehungen erkennbar? (S. 28) werden. Zum anderen aber gilt es, ?diese wechselnden Relationen multiperspektivisch und in Zusammenschau bislang getrennter Diskurse zu verfolgen? (S. 28). Räumlich konzentriert sich der Sammelband dabei auf den deutschsprachigen Raum, zeitlich umgreift er die Spanne vom Hochmittelalter bis zum späten 20. Jahrhundert. Um dieses gewaltige Pensum zu bewältigen, lud der 1994 gegründete ?Arbeitskreis für Agrargeschichte? am 11. und 12. März 1999 knapp zwei Dutzend Forscher/innen zu einem Kolloquium ins Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte. Tagung und Drucklegung der überarbeiteten Beiträge wurden (neben Eigenmitteln) durch Zuschüsse einerseits der Gerda Henkel Stiftung, andererseits des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung ermöglicht. Der Band enthält 12 Artikel und 11 Kommentare, die chronologisch angeordnet und durch zwei resümierende Beiträge umklammert werden. Der einleitende Überblicksartikel des Herausgebers Clemens Zimmermann hat zwei Funktionen. Er paraphrasiert zum einen den Forschungsstand aus Sicht der einzelnen kulturwissenschaftlichen Disziplinen (Biologie, Medizin u. Ä. fehlen leider), bietet zum anderen einen historischen Längsschnitt der Dorf-Stadt-Beziehungen vom Mittelalter bis zur Posturbanität. Im Bereich der Forschung zeigt sich ein Abschleifen der simplen Hierarchie von Stadt, Dorf und Land, ansatzweise auch eine Umkehrung der Perspektive (?Dorf und Stadt? an Stelle von ?Stadt und Dorf?). Zugleich wird aber offenbar, dass es an einvernehmlichen Begriffen oder Typen mangelt, dass unklar ist, was denn unter ?Stadt?, ?Land? oder auch ?Dorf? zu verstehen sei. Entsprechend fehlt eine überzeugende Periodisierung. Die wachsende Integration immer neuer Dimensionen (v. a. sozialer und kultureller) macht diese nicht leichter. Zimmermann konturiert gleichwohl mit kurzen, kräftigen Strichen die Entwicklung von der Blüte des mittelalterlichen Städtewesens über den Niedergang seit dem 17. Jahrhundert und den rasanten Aufstieg während der Industrialisierung. Parallel aber hebt er die ?Verdorfung? ländlicher Räume seit dem Hochmittelalter hervor, betont die gewerbliche Verdichtung gerade in ländlichen Räumen während der Frühen Neuzeit. Die von der Kommentatorin Heide Wunder akzentuierte unterschiedliche Wertigkeit von Stadt und Dorf in Agrar- und Industriegesellschaften wird dabei ebenso betont, wie der Stukturbruch der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der die Unterschiede zwischen Dorf und Stadt zunehmend verschwimmen. Auf diesen wagenden Überblick folgen zwei allgemein angelegte mediävistische Beiträge. Hinter ?Stadt-Land-Beziehungen im Mittelalter? verbirgt sich nach Werner Rösener die Gleichzeitigkeit von Stadtexpansion und Dorfbildung. Und so plädiert er für den Begriff ?Land-Stadt-Beziehungen? (und fasst darunter Dorf-Stadt-Beziehungen). An südwestdeutschen Beispielen belegt er die engen sozialen Kontakte zwischen den nur scheinbar sicheren Kategorien des ?Städters? und des ?Dorfbewohners?, und hebt den strukturellen Vorteil des Landes hervor, die unelastische Nachfrage nach Agrarprodukten und Rohstoffen. Zugleich verweist er auf die herrschaftlichen Zwänge, die solche Vorteile qua Recht (und Schrift) zugunsten der Städte abschliffen und veränderten. In dem sehr anregenden Kommentar von Dorothee Rippmann wird demgegenüber stärker auf die sozialen und kulturellen Dimensionen städtischen und dörflichen Lebens verwiesen, wird ein dynamisches Modell von Land-Stadt-Beziehungen gefordert (und konturiert), in dem die Organisation von Arbeit im Mittelpunkt steht. Auf makroökonomischer Ebene argumentiert dagegen Rolf Kießling, wenn er den ?Wandel ökonomischer und politischer Beziehungen zwischen Dörfern und Städten vom Spätmittelalter bis zur Frühen Neuzeit? beschreibt. Ostschwaben und Altbayern verdeutlichen regional ganz unterschiedliche Beziehungsformen von Dorf und Stadt. Unterschiedliche ökonomische bzw. politisch-herrschaftliche Bedingungen schlagen hier durch. Nach einem weitgehenden Nebeneinander zeigte sich im 15./16. Jahrhundert eine wachsende Anbindung der Dörfer an die Städte, ehe im 17. Jahrhundert eine ?gewisse Verselbständigung der Dörfer? (S. 83) einsetzte. Den eigentlichen Bruch sieht Kießling (und indirekt auch der Kommentator Peter Kriedte mit seinem Bezug auf die agrarisch-gewerbliche Mischökonomie Russlands) jedoch erst mit der Industrialisierung. Die folgenden drei Beiträge konzentrieren sich auf den direkten Kontakt zwischen Stadt und Land. Wie schwierig die vielfach geforderte Ausweitung der Forschungsperspektive auf Kulturelles, insbesondere die wechselseitigen Wahrnehmungsweisen von Bürgern und Bauern ist, zeigt der prägnante Beitrag von Barbara Krug-Richter über ?Bilder bäuerlich-dörflicher und städtischer Beobachter vom Gegenüber?. Nicht nur, dass Zahl und Qualität der Quellen begrenzt sind; vornehmlich deren historische Funktionalität begrenzen die Antworten auf elaborierte Fragestellungen. Edwin Ernst Weber konzentriert sich demgegenüber auf die sozialgeschichtliche Frage nach städtischer Territorialherrschaft und bäuerlichem Widerstand am Beispiel der schwäbischen Reichsstadt Rottweil. Konturenreich schildert er darin die Auseinandersetzungen um Feudalabgaben, Steuer- und Militärforderungen von Reich und Kreis sowie besonders den Wirtschaftszwang der Stadt ?gegenüber dem herrschaftlich gebundenen bäuerlichen Landgebiet? (S. 109). Auch hier stellen sich (nicht zuletzt durch den Kommentar von Martina Schattkowsky) zahlreiche Fragen nach der theoretischen und quellengemäßen Interpretation der Herrschaftswahrnehmung. Doch es dominiert der Eindruck eines Netzwerkes zwischen Stadt und Land, einer komplexen Gemengelage von Zumutung und Widerstand. Aber auch bei anderen Themen bröckeln Vorstellungen einfacher Hierarchien. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt betont in seinem Beitrag über ?Stadtgebundene Verschriftlichungsprozesse und ihre Mediatoren in den Dörfern des 18. und 19. Jahrhunderts? die schon in der frühen Neuzeit bestehenden Lese- und Schreibfähigkeit der ländlichen Bevölkerung. Nur die Buchproduktion und das spätere Zeitungswesen erscheinen ihm allein ?stadtgebunden?. Durch die im Kommentar von Rainer Prass systematisierten Kontakte von Landbewohnern mit städtischer Kultur resp. den ?Fluss von Bestandteilen der Schriftkultur von der Stadt auf das Land? (S. 140) ergab sich lediglich ein gradueller, nicht aber ein struktureller Rückstand des Landes. Bemerkenswert sind hierbei die kulturellen Folgen ökonomischer und herrschaftlicher Strukturveränderungen. Dem Übergang zu einer modernen industriellen Gesellschaft widmen sich zwei Beiträge. Robert von Friedeburg betont unter dem Titel ?Ländliche Gewerbe, Landgemeinde und Unterschichten in Deutschland vom späten 17. bis zum späten 19. Jahrhundert? die enge Verbindung scheinbar städtischer und scheinbar dörflich-ländlicher Lebens- und Arbeitsräume. In den Mittelgebirgsregionen Badens, Hessens und Frankens nahmen ländliche Unterschichten eine wichtige Funktion als ?industrielle Reservearmee? ein. Gründend auf einem an sich nicht auskömmlichen ländlichen Kleinbesitz, ermöglichten sie als Wanderarbeiter in den Städten geringe Löhne und einen flexiblen (saisonalen) Arbeitsmarkt. Damit hinterfragt Friedeburg zum einen mit guten Gründen gängige Bilder einer ?Verbäuerlichung der ländlichen Gesellschaft? (S. 170), betont zum anderen die enge Verbindung von Land und gewerblicher Entwicklung auch und gerade während der Industrialisierung. Doch hier gilt es, wie Stefan Brakensiek in seinem prägnant formulierten Kommentar hervorhebt, die regionale und soziale Begrenzung der Friedeburgschen Aussagen zu bedenken und zu reflektieren. Das trifft für Fallstudien natürlich noch stärker zu, etwa der von Frank Konersmann über ?Soziale Differenzierung und Politisierung ländlicher Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts? am Beispiel des ostwestfälischen Amtes Riedberg zwischen 1822 und 1856. Das ?urbanisierte? 20. Jahrhundert wird schließlich in drei Beiträgen näher erkundet. Dabei deutet Ulrich Kluge in seinem sehr breit gehaltenen, aber auch sehr anregenden Beitrag über Stadt-Land-Konflikte und wechselseitige Stereotypen während der Versorgungskrisen 1916-1923 und 1945-1950 ?Ernährungskrisen als Politikversagen? (S. 236). Der Perspektivenwechsel zur Wahrnehmung der Städter durch die Dorfbewohner ist spannend und weiterführend, die Hinweise auf die politikbedingten Unterschiede (bäuerliche Militanz 1919-1923, innerdörfliche Konflikte 1945-1949) der Krisenbewältigung eröffnen wichtige Forschungsfragen. Ob aber die von Kluge ansatzweise vorgenommene Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive angemessen ist, darf füglich bezweifelt werden. Man hat den Eindruck, dass der sehr sinnvolle Bezug auf die Agrarökonomie (auch wenn die damit einhergehende Reduktion der Ernährungsgeschichte auf mikroökonomische Fragen (S. 218) schlicht unangemessen ist) mit einer gewissen Verteidigung des deutschen Mittel- und Kleinbauern erkauft wird. Die von Daniela Münkel geforderte Differenzierung durch Motivanalysen städtischer und ländlicher Akteure dürfte hier weiterhelfen. Drei westfälische Beispielen führen dann Peter Exner in seinem Beitrag ?Vom Bauerndorf zur Vorstadt: Metamorphosen der Landgemeinde nach 1945? zu der prägnanten Aussage ?Das alte Dorf ist vergangen? (S. 245). Der Umschwung der landwirtschaftlichen Erzeugung (Maschinisierung, Chemisierung, Kapitalisierung), der Verlust der dörflichen Ökonomie (?Höfesterben?, Verschwinden der Dorfhandwerker, Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion) sowie die demographischen und sozioökonomischen Folgen (Motorisierung, Wandel der Arbeit) erodieren das Spezifische des Dorfes. Exner zeigt dies an zahlreich weiteren Beispielen (Lokalpolitik, Heiratsverhalten, Sport, Vereinswesen, Medienangebot) auf ? und doch ist den kritischen Bemerkungen des Kommentators Michal Kopsidis zuzustimmen, der auf den langen Wandel des (westfälischen) Dorfes seit der Marktanbindung im frühen 19. Jahrhundert (und den Einfluss ?des Dorfes? auf die politische Regulierung des Agrarsektors) verweist. Die innere Verwobenheit von Dorf und Stadt mag vor 150 Jahren nicht sonderlich deutlich gewesen sein, die Veränderungen der Nachkriegszeit augenscheinlicher, doch einen wirklichen Bruch gab es in den 1960er Jahren nicht. Ein Beitrag zum Suburbanisierungsprozess aus der Feder Thomas Flieges führt den Leser dann bis in die Gegenwart. Am Ende des Bandes steht schließlich der Versuch Werner Troßbachs ?Die Dynamik der Stadt-Land-Beziehungen 1300-1900 [sic!]? zu resümieren. Er plädiert für eine stärker theoriegeleitete Forschung, wobei er besonders auf die Thünenschen Zentralitätsvorstellungen bzw. die ?Menschenwissenschaft? Norbert Elias verweist. Troßbach fordert eine systematische Erforschung zentraler Kräfte, sei es ?des Staates?, sei es ?der Kirche?. Dies führe zu differenzierteren Bildern, Interdependenzen von Stadt und Land träten so hervor. Dies gelte auch für Projektionen und Wahrnehmungen von Stadt, Land und Dorf, ebenso für die nur ansatzweise geschriebene Sozialgeschichte der Stadt-Land-Beziehungen. Die Tagung, so sein Resümee habe zur ?Öffnung von Perspektiven? beigetragen, doch noch sei vieles zu leisten. Und schon kann man die nächste Tagung vorbereiten. Mein Resümee muss konkreter sein. Der Sammelband behandelt ein wichtiges historisches Thema über einen sehr langen Zeitraum ? allein dies nötigt Respekt ab. Das Ergebnis ist ein facettenreiches und differenziertes Bild der Stadt-Land-Beziehungen und ihrer kulturwissenschaftlichen Erforschung, auf das jede/r Bezug nehmen sollte, der sich künftig dem Thema fundiert widmen will. Der umfassende Anspruch bringt allerdings auch Probleme mit sich: Nicht gelungen ist eine klare Definition der zentralen Begriffe. Vor allem die unscharfe Trennung zwischen Dorf und Land, Dorfbewohner, Landbewohner und Bauer, Stadt-Land- und Stadt-Dorf-Beziehungen verringern die Anschlussfähigkeit der einzelnen Beiträge nicht unerheblich. Diese stammen vorwiegend aus dem einschlägigen Kreis des ?Arbeitskreises für Agrargeschichte?, die angekündigte ?Zusammenschau bislang getrennter Diskurse? fand also nur ansatzweise statt. Die einzelnen Beiträge fügen sich vielfach nicht harmonisch und logisch aneinander, zwischen Fallstudien und der Darlegung des Forschungsstandes klaffen (notwendig) breite Lücken. Das Bemühen, zum einen den Forschungsstand zu dokumentieren, ferner das Theorieangebot darzubieten und auf Anwendbarkeit zu überprüfen, und schließlich einen empirisch gesättigten Überblick des Wandels der Stadt-Land-Beziehungen zu geben, ist hoch einzuschätzen. Doch es überfordert einen Band ? alles zugleich konnte nicht gelingen. Die innere Heterogenität des Bandes spiegelt sich auch in den sehr sinnvollen und fast durchweg weiterführenden Kommentaren, die von eigenständigen Koreferaten bis hin zu prägnanter und pointierter Kritik des Einzelbeitrages reichen. Ärgerlich sind redaktionelle Defizite bei der Umsetzung der neuen Rechtschreibung und der einheitlichen Verwendung von Satzzeichen. Diese Kritik darf aber nicht überdecken, dass der von Clemens Zimmermann herausgegebene Sammelband stets anregend ist, unser Wissen und unsere Vorstellung vom Bezugsfeld Dorf und Stadt wesentlich erweitert und zur vertiefenden Lektüre allgemein empfohlen werden kann. 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