Beschreibung:

430 S. ; 18 cm, mit Schutzumschlag Gewebe, gebundene Ausgabe, Leinen, Exemplar in sehr gutem Erhaltungszustand

Bemerkung:

"Gleichgewicht oder Hegemonie" - 1948 erstmals erschienen und insofern auch als Kriegsschrift eines seiner Herkunft wegen im "Dritten Reich" kujonierten Gelehrten zu lesen - reflektiert die Geschichte des europäischen Staatensystems von der frühen Neuzeit bis zum Epochenjahr 1945. Pressestimmen Das historische Buch Nicht mehr und noch nicht Das Geschichtsbild von Ludwig Dehio Wir lesen Ranke, wir lesen Mommsen, wir lesen, wenn es unbedingt sein muss, auch Treitschke ? und wissen: das ist lange her. So hat man vor Zeiten die Geschichte, die damalige Vergangenheit, angeschaut; und dass man sie so angeschaut hat, gehört nun wieder zu unserer eigenen Vergangenheit. ? Ludwig Dehio, 1888 geboren, hatte das Dritte Reich wegen und trotz seiner jüdischen Abstammung in einer subalternen Position überlebt und war sechzig Jahre alt, als er sein Buch «Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte» herausgeben konnte. Es ist durchaus möglich, dass man dieses Buch dereinst als klassisches Werk des «Nachhistorismus» ? eine bisher wohl noch nicht erfundene Epochenbezeichnung ? wird lesen können. Dehio bezieht sich ausdrücklich auf Ranke; er distanziert sich ideologisch ein wenig, aber (noch) nicht methodisch von ihm; er folgt Friedrich Meinecke (dem das Buch auch gewidmet ist) in seiner Hinwendung zu Jacob Burckhardt, den er als pessimistisch-prophetischen Antipoden Rankes versteht, ohne jedoch aus dieser Neuorientierung die Konsequenz eines wissenschaftlichen «Paradigmenwechsels» zu ziehen. Im Rückstand Man war im Rückstand damals. Dass Dehios Buch im selben Jahr wie Fernand Braudels «Méditerranée» erscheinen konnte, lässt eine eigentliche Generationenverschiebung erkennen, die sich nur langsam wieder ausgleichen sollte ? sie hat sich nicht zuletzt dank Dehio verringert, der in seinen späteren Jahren als Herausgeber der «Historischen Zeitschrift» viel für die Information der deutschen Geschichtsforscher über den Stand der Dinge in anderen Ländern getan hat. Doch in den ersten Jahren nach fünfundvierzig konnte man in Deutschland nicht wissen, was sich in der französischen, in der angelsächsischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte unterdessen getan hatte (man wusste es auch sonst nur dort, wo man es wissen wollte). So ist in diesem Buch noch immer die Rede vom «europäischen Staatensystem», von dem «Spiel» der Mächte, das Dehio am Ende des Zweiten Weltkriegs für «ausgespielt» hielt, das aber ? einmal abgesehen davon, dass es Machtkämpfe in den verschiedensten Formen weiterhin gab, gibt und geben wird ? schon ausser Kraft gesetzt war, ehe die «nemesis of power» mit Deutschland abrechnen musste. Dehio spricht von «tragischer Verschärfung», von dem «gefährlichen Grenzfall» eines «neuen hegemonialen Anlaufs», den Deutschland nach der Niederlage von 1918 unternommen habe. Dieser «letzte Akt unserer Geschichte» bleibe, meint er, «demjenigen unverständlich, der sich nicht die umfassenden Druckverlagerungen auf dem schrumpfenden Globus vergegenwärtigt, die erst die furchtbaren Faltungen und Verwerfungen des deutschen Schicksals (er sagt noch Schicksal) hervorpressen halfen». Das metaphorische Reden von der Geschichte hat seine Gefahren. Es verbindet Anschaulichkeit mit Abstraktion auf oft trügerische Weise, nämlich so, dass sich die Anschaulichkeit nicht weniger als die Abstraktion über der historischen Wirklichkeit in der Schwebe hält. Umfassende Druckverlagerungen, furchtbare Faltungen, nun gut; wenn wir aber wissen, dass der Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei eine «furchtbare Faltung» war, was wissen wir dann? Der Friede von Versailles hatte in dem «kranken Gesamtorganismus» von Mitteleuropa «zerrissenes und entzündetes Gewebe» hinterlassen, vor allem in Deutschland ? «Krankheitsherde, aus denen sich ein neues Fieber in die Welt verbreiten sollte». Dies aber, weil die wirtschaftliche Gefährdung der Massen «die Abwehrkräfte des deutschen Volkskörpers» weckte: «seine Vitalität war noch nicht gebrochen». «Wie ein schwer verwundeter Löwe richtete sich der Preussengeist aus seiner Betäubung auf.» Dass Adolf Hitler und seine Gesellen mit dem «Preussengeist» (worunter man sich nach Belieben etwas Gneisenau- oder Bismarck- oder Fontane-Artiges vorstellen kann) nicht das Geringste zu tun hatten, war Dehio natürlich bewusst. Seine inkohärenten Vergleiche spiegeln mehr unwillkürlich als absichtlich einen «ungereimten», einen gerade auf den herkömmlichen Begriff der Hegemonialpolitik nicht mehr reimbaren Zustand. Und sie bringen zum Ausdruck, wie sehr hier einem Historiker alter Schule daran gelegen war, das soeben erlebte ? das von ihm doppelt knapp überlebte Geschehen in eine Sprache zurück zu übersetzen, die er verstand: um in ihr dann wenn möglich auch es selbst zu verstehen. Er wäre der letzte gewesen, die Ungeheuerlichkeiten des Dritten Reichs einebnend in einem historischen Kontext ? in den Kategorien des leider stets Möglichen und glücklicherweise Seltenen ? unterzubringen. Zwischen Dehio und dem «deutschen Historikerstreit» stellt auch Klaus Hildebrand mit seinem Nachwort zur Neuausgabe des Buches keine Verbindung her. Indem aber Dehio mit seinen überkommenen oder übernommenen Stilmitteln versucht, eine künstliche Normaldistanz zu der jüngsten, zur allzu jungen Vergangenheit zu schaffen, nähert er sie einer früheren Vergangenheit und damit doch auch einem «normalen» Geschichtsverlauf an. Aber gab es den je? Oder hat uns die Methode der Historischen Schule auch für das siebzehnte, achtzehnte, neunzehnte Jahrhundert eine Fernrohrbetrachtung angewöhnt, die sich mit anschaulichen Abstraktionen begnügt? Zu unterscheiden Es verhielte sich demnach so, dass die Rede von «Machtspielen» oder von einer «Druckverlagerung» und dergleichen uns bloss nicht anstössig dünkt, der Wirklichkeit aber nicht weniger unangemessen ist, wenn diese Wirklichkeit sich in früheren Zeiten befindet. Da bliebe aber zu unterscheiden: einerseits Kabinettsbeschlüsse, die allerdings aus Berechnungen einigermassen abstrakter Natur hervorgingen ? im Sinne von: England verbündet sich mit der zweitstärksten Macht auf dem Kontinent, um dank einem in Europa gesicherten Gleichgewicht seine Kolonialpolitik usw. usw. ? aus Berechnungen, die man wohl nachrechnen darf, auch wenn sie die Existenz insularer oder kontinentaler Bewohner nur indirekt, unterschiedlich und eventuell gar nicht berührten; andererseits eben jene Existenz, jene Existenz en, auf die es uns heute ankommt, nicht weil uns die «Paradigmenwechsel» der Geschichtswissenschaft zu politischem Umdenken angeregt hätten, sondern weil sie diesem Umdenken schliesslich gefolgt sind. Nicht (oder längst nicht immer) ihrer Gesinnung nach, aber in ihrer Methode sind die Historiker späte Entdecker der Demokratie. Man wird Dehios Werk eines Tages einordnen können als ehrenhaft gescheiterten Versuch, die Tradition der machtpolitisch orientierten Historiographie bis in die Gegenwart weiterzuführen ? statt aus gegebenem Anlass mit ihr zu brechen. Aber dafür ist es zu früh. Seine Betrachtung ist nicht mehr nachvollziehbar und noch nicht in die Geschichte der Geschichtsschreibung eingegangen. Hanno Helbling -- Neue Zürcher Zeitung Manesse 9783717582205 +++++ 30 Jahre Antiquariat Christmann in Wiesbaden +++++ Wir liefern außer nach Deutschland, nur noch nach Schweiz / Holland / Belgien / Italien / GB / USA / +++ We now only deliver to Switzerland / Holland and Belgium / Italy / GB / USA +++ Keine Lieferung nach Österreich ++++