Beschreibung:

229 S. , 163 Ill. Originalbroschur.

Bemerkung:

Sehr schön erhaltenes Exemplar. - Vorwort - Seit die griechischen Vasen dem Boden wieder entsteigen, haben sie mit immer eindringlicher werdender Überredung die geltende Anschauung vom Griechentum verwandelt, haben ein reicheres farbenprächtigeres intimeres Bild an die Stelle des alten gesetzt. Eine Geschichtsschreibung des Altertums ist ohne sie nicht mehr denkbar. Durch die keramischen Funde vor allem ist die "Prähistorie" zur Historie geworden, ist der Erforschung einer sagenhaften Vorzeit ein fester Boden gegeben worden; aber auch für die geschichtlichen Zeiten dienen die Tongefäße als unentbehrlicher Zeitmesser. Die Fundschichten, auf die der Spaten des Ausgräbers stößt, werden durch die Scherben datiert. Aus der Qualität und Verbreitung der keramischen Produkte rekonstruiert der Historiker Aufschwung und Niedergang menschlicher Siedlungen und Kulturkomplexe, Industriezentren und Handelssphären, Berührungen mit fremden Kulturen und Völkerschiebungen. Die Vase wird ihm zum Symbol der Kulturphase, der sie entstammt. Aus der Verwendung der Gefäße im Dienst der Heiligtümer und der Gräber (der wir den erhaltenen Bestand verdanken), aus den Darstellungen göttlicher Wesen und kultlicher Handlungen zieht der Religionshistoriker Schlüsse auf die religiösen Vorstellungen der Alten, auf ihr Verhältnis zur Gottheit und zum Jenseits. Der Mythenforscher vermehrt seine aus der Literatur geschöpfte Kenntnis des unendlich reichen köstlichen beweglichen Sagenschatzes um viele neue Erfindungen und Varianten, lernt sie mit den Augen der Griechen sehen. Zugleich tut sich ihm ein interessanter Gegensatz zwischen der bildlichen und literarischen Formung der Sage auf, das Eigenleben der bildlichen Typik wird ihm klar. In Sagen- und Genredarstellungen kommt der Alltag stark zu Wort. Wie ein kulturhistorisches Bilderbuch erzählen die Vasen vom Tun und Treiben des Griechen, von seinen Sitten und Unsitten, von seinen Moden, seinem Hausrat, und rücken uns den Menschen von damals zum Greifen nah. Wer diese Bilder in historischer Folge vor seinem Auge vorbeiziehen läßt, nimmt eine bedeutsame Veränderung in der Auswahl und Auffassung der Gegenstände wahr und erlebt etwas von den Wandlungen der griechischen Psyche, von ihren Kinder- und Mannesjahren, von fröhlichen und herben, von raschgelebten und müderen Zeiten mit. - Die künstlerischen Formen, in denen sich diese Entwicklung ausgedrückt hat, lassen sich an dem reichen Material der Vasenfunde in lückenloserer Linie aufzeigen als irgend sonst. Dem Kunsthistoriker entrollt sich die jahrhundertelange Geschichte eines Kunstzweigs in all seinen historischen und lokalen Brechungen, Aufgang und Niedergang der einzelnen Werkstätten, das Nebeneinander von Dutzendware und individuellen Leistungen, der stete Kampf greifbarer Künstlerpersönlichkeiten mit der Tradition, die Ausbildung, Wanderung und Wandlung künstlerischer Typen, die Auseinandersetzung mit fremden Einflüssen. Die wundervoll charakteristische Geschichte der Gefäßformen und Dekorationsprinzipien, das Ringen der Zeichenkunst mit Raum und Ausdrucksproblemen entwickelt sich Stufe für Stufe vor seinen Augen, und während die Geschichte der Plastik zum großen Teil aus abgeleiteten und verdorbenen Quellen, den sog. römischen Kopien, rekonstruiert werden muß, präsentiert sich diese Entwicklung an authentischem Material, an Werken originalster Fassung und vortrefflicher Erhaltung, die auch das bei der Plastik oft so schwer vermißte farbige Element ungebrochen aufzeigen. Die Entwicklung der Zeichenkunst wirft interessante Streiflichter auf die Plastik, in der gleiche Formgedanken oft zu eng verwandten Lösungen führen. So ordnet sich dem Kenner der Vasen auch die Geschichte der Skulptur, besonders der frühen; in den Fehler, die griechischen Bildhauer gleichsam nur als sich ablösende Bälgetreter einer sonst automatischen Orgel aufzufassen, wird er nie verfallen. Vor allem aber belebt die Vasengeschichte das Bild von der restlos untergegangenen griechischen Malerei, das jeder, dem griechische Kunst am Herzen liegt, nicht müde wird sich in der Phantasie wiederherzustellen. Freilich wird man bei den Rückschlüssen auf die freie Malerei die größte Vorsicht walten lassen, wird Kunst und Kunstgewerbe nicht verwechseln, wird das Vasenbild in seiner technischen Beschränkung und stilistischen Gebundenheit, als dekoratives Gebilde, als Bestandteil einer tektonischen Einheit verstehen.