Beschreibung:

unnummeriert, m. Abb., Fotos sowie 2 Schallplatten. brosch.

Bemerkung:

Broschüre befriedigender Zustand (leicht fleckig, eselsohrig, angeschmutzt). Relativ selten! -- Die braune Bestie: ln memoriam Erich Mühsam: Erich Mühsam lernte ich durch den "Simplicissi-mus" kennen, allerdings hatte ich mir den streitbaren Herausgeber des "Kain" anders vorgestellt. Mühsam war klein von Gestalt und von wenig auffälligem Äußeren, die Stirne niedrig, das Gesicht von einem Bart wie zugewachsen -er ähnelte mehr einem kleinen Dorfschulmeister ohne Persönlichkeit als einem Streiter des Geistes. Aber wenn er zu reden begann, öffnete sich das graue Gehäuse vor einer tapferen, eigentümlichen Persönlichkeit, die furchtlos die Konsequenzen seiner besonderen Art auf sich nahm. -- Erich Mühsam war der typische fortschrittliche jüdische Intellektuelle: aphoristisch, paradox und scharf. Die Sprache des gemeinen Mannes fiel ihm schwer, er war zu literarisch; sein Wissen stammte mehr aus Büchern als aus dem Leben, und einen Hang hatte er, geistreich zu sein sogar auf Kosten der Sachlichkeit. Anderseits war er geradezu und kameradschaftlich wie wenige andere; die Arbeiter, die ihn persönlich kennenlernten, liebten ihn. -- überhaupt war menschlich nichts an ihm auszusetzen. Der optimistische Glaube seines Volkes an den Sieg der Kräfte des Friedens, der ihm geholfen hat, die zweitausendjährige Emigration zu bestehen, erfüllte auch ihn. Auch besaß er viele der Eigenschaften, die der Emigrant zur Bewährung braucht: Die Fähigkeit, in die primitivsten Verhältnisse sich zu schik-ken und das Beste daraus zu machen und dabei den Glauben an die Zukunft ebenso zu bewahren wie den Anspruch an die Zukunft, und dazu die geistige Überlegenheit, die der Armut den Stachel nimmt und einen schlimme Zeiten bestehen läßt. -- Erich Mühsam war und blieb Anarchist. Das Gesamt war nicht seine Sache, und wenn er -- auf Kosten des großen Zusammenhangs von der Stimmung des Augenblicks seinen sarkastischen Witz inspirieren ließ, fiel es häufig schwer, scharfe Zusammenstöße mit ihm zu vermeiden. Aber es war unmöglich, ihn nicht zu lieben. Für jedwedes Wesen hatte er ein Herz, jedwedes Individuum war ihm heilig; auch in diesem Betracht war und blieb er Anarchist. Und mutig war er und furchtlos in einem Grad, daß man häufig den Eindruck erhielt, er riefe - weit entfernt davon, Angst zu haben, daß ihm etwas geschähe! - das Martyrium herbei. Dies und seine Herzenseinfalt und Herzensgüte erkannte ich wieder als jene schöne Eigenschaften, denen ich in meiner Jugend in den Gebirgen Andalusiens bei den anarchistischen Landarbeitern und Häuslern so oft begegnet war. Gleich ihnen litt, er lieber, als daß er anderen Leid zufügte; diente er lieber, als daß er sich bedienen ließ. Dieselbe stille Freude am Dasein - trotz allem - trug er im Gemüt, denselben Glauben an den Sieg des Guten - ohne sich Rechenschaft zu geben, worin das Gute bestünde -, die diesen primitiven Zukunftsmenschen eigentümlich war. -- Bei aller Bescheidenheit und Zurückhaltung im Auftreten übte er auf suchende Naturen eine besondere Anziehung aus. Die Stärke seiner Überzeugung, ihr furchtloses Bekennen machten ihn zum natürlichen Mittelpunkt der wenigen aufrührerischen Elemente und zu einem Stein des Anstoßes dem System. Das Militär haßte ihn bereits damals aus vollem Herzen, ständig ward er von der Polizei überwacht. Ein Politiker war er nicht, das beweist seine Rolle in der Räterepublik; wo er konkrete politische Aufgaben bewältigen sollte, waren die Verhältnisse allemal mächtiger als er und setzten sich trotz seiner durch. Er war lauter Temperament und besaß nicht die ausdauernde Vorstellungskraft, langsamem Wachstum zu folgen; er war ungeduldig wie ein Kind gegenüber allem, was Zeit erforderte. (aus dem ersten Artikel)