Beschreibung:

XIV, 639 S.; 20 cm, Originalleinen kaschiert.

Bemerkung:

Guter Zustand. -- Wer auch nur flüchtig in einer >Faust<-Bibliographie blätterte, kennt die Verwirrung, die die Unzahl von Titeln auslöst; wer die Mühe nicht scheut, das Dickicht der Titel zu lichten und Themen und Thesen durch angestrengte Lektüre zu verlebendigen, findet sich aufs neue und noch gründlicher verwirrt: Angesichts der vielfältigen und widersprüchlichen Meinungen ist ihm am Ende wie dem von Mephisto genasführten Schüler zumute. Doch wer sich schließlich untersteht, auf wenigen hundert Seiten die Stationen und Positionen der "Faust I<-Forschung markieren und einem heterogenen Publikum vergegenwärtigen zu wollen, büßt für seinen Übermut: Daß manchem Leser nichts recht zu machen sein wird, ist von vornherein hinzunehmen; daß man sich selbst aber nicht genugtun kann, wie sauer man sich's auch werden läßt, gehört zu den leidig-unvermeidlichen Erfahrungen mit einer Textauswahl, die eine unübersehbar weite >Faust<-Literatur auf einer begrenzten Seitenzahl zu präsentieren hat. -- Dem Titel der Reihe gemäß, wollte ich die >Wege< der >Faust<-Forschung schon in ihren ersten Anfängen durch richtungweisende Beiträge kenntlich machen. Karl Ernst Schubarth, der seine Paraphrasen und Konstruktionen Goethe selbst noch zusenden konnte, sollte den Reigen anführen, Carl Gustav Carus ihn fortsetzen. Von vornherein war klar, daß die meisten Hegelianer und die sog. Allegoristen, daß Falk, Enk, Deycks, Rauch und wie sie alle heißen, entfallen mußten, was niemand wundern kann, der die Flut von Deutungen und Kommentaren kennt, die sich in den Jahren nach Goethes Tod (und dem Erscheinen des zweiten Teils des <Faust<) über das verstörte Publikum ergoß und Karl Rosenkranz schon 1847 zu dem Stoßseufzer veranlaßte, "auch beim redlichsten Willen" übersättigt zu sein.1 Mit Gervinus und Scherer sollte dann die de zidierte >Faust<-Auffassung der literarhistorischen Exponenten um 1850 und 1880 demonstriert werden, denn es war Gervinus, der den Zwiespalt von Gedanke und Tat, Wort und Wirklichkeit in Fausts Persönlichkeit durchschaute, und Scherer, der das nach 1870 "übermateriell" gewordene deutsche Reich an >Faust< maß und seine Kritik davon ableitete. Währenddessen unterstützte Herman Grimm in seinen Goethevorlesungen (1874 und 1875) seine Zeit in ihrer Megalomanie, ihrem verblendeten Aktivismus, indem er das Drama als "Evangelium der Erlösung des Menschen durch Thätigkeit" feierte, obwohl auch ihn Fausts "Doppelwesen" befremdete. 2 -- Wegen des beschränkten Raums konnte der erregenden Rezeptionsgeschichte des >Faust< im 19. Jahrhundert nicht nachgegangen werden. Daher entnahm ich Hans Schwertes "Faust und das Fausti-sche< wenigstens das Einführungskapitel, das indes niemanden von der Lektüre des ganzen Buchs dispensieren sollte. An der Geschichte eines einzelnen Begriffs, des "Faustischen", demonstriert er die Geschichte der Mythisierung und Mystifizierung dessen, was man zu lange als Nationalcharakter der Deutschen anzusprechen bereit war. -- "Und mach dann noch 'nen zweiten Plan . . ." Der erste, die Anfänge der >Faust<-Deutung im 19. Jahrhundert in den Sammelband aufzunehmen, mußte also verworfen werden, und aufgeben mußte ich schließlich auch die Absicht, in geschlossenen Kurzmonographien das nuancen- und wandlungsreiche >Faust<-Bild der letzten Jahrzehnte einzufangen: Essays von Benedetto Croce, Thomas Mann, Günther Müller, Leonard A. Willoughby, Kenneth Burke, Ernst Jockers - auf sie und andere mußte verzichtet werden, da ihre Variationen zu dem anscheinend unerschöpflichen Thema allein einen halben Band eingenommen hätten. Übrig blieb für den ersten, historischen Teil Erich Schmidt, der die ernstzunehmende >Faust<-Forschung des beginnenden 20. Jahrhunderts zusammenfaßte und in seinen Anmerkungen ein Wissen aufhäufte, das spätere Kommentatoren oft genug nicht mehr zu aktualisieren verstanden; übrig blieben Konrad Burdach, der wohl repräsentativste Vertreter der >Faust<-Philologie zwischen den Weltkriegen, der sich in verwirrten Zeiten seine distanzierte Sachlichkeit nicht nehmen ließ, Wilhelm Böhm, der eine temperamentvolle Einseitigkeit nicht scheute, um den fatalen Auslegungskünsten der Perfektibilisten entgegenzuwirken, und Erich Heller, dessen Essay für die große Zahl der >Faust<-Deutungen nach der Katastrophe von 1945 steht, die eine skeptische Selbsterkenntnis im Spiegel der Tragödie Fausts zu vermitteln suchten. (aus dem Vorwort) ISBN 9783534039760