Beschreibung:

120 S. Originalbroschur.

Bemerkung:

Aus der Bibliothek von Prof. Wolfgang Haase, langjährigem Herausgeber der ANRW und des International Journal of the Classical Tradition (IJCT) - Vereinzelte Bleistiftnotizen auf Einband, Braunflecken auf Vorsatz sowie mit Texmarker versehene Abschnitte in der Einleitung. Ansonsten altersbedingt im sehr guten Zustand. - Inhalt: Das Gebet stellt für den religiösen Henschen einen Akt der Hinwendung dar, der an die als überlegen empfundene Welt des Göttlichen gerichtet ist. Solche Hinwendung kann im Bittgebet einfach geschehen, um göttliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Hauptziel eines solchen Gebetes ist nicht die Gottesverehrung an sich, sondern das Wirksamwerden göttlicher Kräfte im Sinne und Nutzen des Beters. Solche Epiklesen haben meist einen praktischen Sinn; der religiöse Akt schließt die Bejahung des irdischen Daseins von Seiten des Betenden ein. Innerhalb dieses Rahmens ist das Dankgebet nur das Gegenstück zur Fürbitte. Sofern der Mensch aber ein geistbegabtes Wesen ist, kann das Gebet als Hinwendung zum Göttlichen in sublimierterer Weise eine Aussprache mit dem Göttlichen darstellen. Diese Form des Gebetes ist grundsätzlich nicht am Menschen und seiner Umwelt orientiert; vielmehr wird das Irdische transzendiert und Gott als der alleinige Zielpunkt eines solchen Betens gesehen. Von dieser Art ist das Gebet des Nysten^der auf diesem Weg einen möglichst hohen Grad der Einigung mit Gott anstrebt. Innerhalb der Philosophie des Neuplatonismus wird Gebet immer als Hinwendung (tu löTpocpri ) zu einer höheren Seinstufe begriffen. Unterschiedlich sind Art und Ziel dieser Gebetshinwendung in den theoretischen Erörterungen von Plotin bis Proklos aufgefaßt worden. Hier zeigt sich, daß der Neuplatonismus kein monolithischer Block ist, sondern zu verschiedenen Zeiten verschiedene Wege eingeschlagen hat, um dieselbe Frage zu lösen. Faßt man die unterschiedlichen Gebetsbegriffe überschauend zusammen, so bieten sich drei Aspekte, unter denen die Neuplatoniker das Gebet aufgefaßt haben: 1.) Gebet ist einfache Hinwendung jeder Seinsstufe zu einer höheren Hypostase. Die von Plotin ausgestaltete Ontologie des Neuplatonismus ist die Grundlage dieser Gebetsauffassung. Das Gebet wird eingeordnet in den Prozeß, der aus dem Einen das Viele entstehen und dieses Viele wieder zum Einen hinstreben läßt. Es stellt sozusagen einen rückläufigen ontologischen Vorgang dar, die Hinwendung aller Seinshypostasen zu ihrem Ursprung. Diese Vorstellung kennzeichnet der Satz des Theodoros von Asi-ne: "Alles betet außer dem Ersten. 2.) Das Gebet ist philosophische Reflexion. Indem der Philosoph sich auf seine eigene Herkunft besinnt und sein eigenes geistiges Sein durchforscht, richtet er sich zugleich auf die höheren geistigen Seinsformen aus. Wo die Spitze alles Seienden als Gott gesetzt wird, läßt sich solche Ausrichtung im philosophischen Denken als Gebet auffassen: Gebet ist ßewpia. Dies ereignet sich im Denken Plotins. Philosophie und Theologie werden nicht als getrennte Bereiche voneinander abgegrenzt, vielmehr wird die ganze Vielheit des Seienden als Entfaltung des obersten, göttlichen Prinzips aufgefaßt. 3.) Das Gebet wird zum Heilsakt, wenn der Gesichtspunkt der Rettung der Seele aus der Welt und ihr Streben nach Vereinigung mit dem höchsten Göttlichen in den Vordergrund geschoben wird. Diese Sicht tritt besonders nach Plotin in den Vordergrund. Gebet ist dann nicht mehr einfach Bewpia , insofern als dies eine Hinwendung zum Geist darstellt; es wird vielmehr dieser Akt der philosophischen Reflexion selbst ausdrücklich zum Heilsakt erklärt, der einen von mehreren möglichen Wegen zur Vereinigung mit dem Göttlichen darstellt. Immer steht das Gebet bei den Neuplatonikern auf dem Boden der metaphysischen Struktur des Seienden. So wird es möglich, am Gebet exemplarisch das Denken dieser Philosophie zu begreifen; umgekehrt läßt sich die Bedeutung dieses Gebetes nur erfassen, wenn man es ständig auf dem Hintergrund der neuplatonischen Ontologie sieht. Nun sind die von uns abgegrenzten Einzelaspekte des Gebetes darin verwandt, daß sie alle eine Hinwendung zum Höheren beinhalten. Die für den Menschen entscheidende Hinwendung ist aber, sofern er zur eii&aiixovla strebt, der Aufstieg zur Vereinigung mit dem Göttlichen. Diese Vorstellung beherrscht alle Neuplatoniker; unterschiedlich sind aber die Wege, welche die einzelnen Philosophen empfehlen, um die Seele dem Göttlichen anzunähern. Äußerungen über Gebet und Gottesverehrung in Wirklichkeit eine Entwicklung wieder, welche die Schule Platons von Plotin bis Proklos durchmachte. Plotin löst das Problem der Einigung, indem er die philosophische Reflexion in ihrem Endpunkt in mystische Schau übergehen läßt. In dieser überrationalen ekstatischen Schau wird das Eine mehr erlebt als erfaßt. Porphyrios, der in höherem Maße als sein Lehrer Plotin die Methode der Vereinigung mit dem Göttli-chen ins Auge faßt, ' bietet neben der plotinischen Lösung zögernd noch eine andere an: die Erhebung der Seele durch die Theurgie.1 1 2^ Er billigt der Theurgie allerdings geringe Kraft zu. Sie vermag die Seele nur ein wenig von der Erde zu erheben; so stellt sie lediglich eine Notlösung dar; sie ist ein Ersatz für den Weg der Philosophie, den nicht alle gehen können. Jamblich greift die von Porphyrios vorgeschlagenen Lösungen auf, indem er Philosophie und Theurgie nicht nur in ein Rangverhältnis stellt, sondern die Wertung des Porphyrios geradezu umkehrt. Die Theurgie tritt an die Stelle der plotinischen Mystik, sie wird nun zu einer Art Überhöhung der Philosophie; sie leistet nun einzig und allein die Vereinigung mit dem Göttlichen. Die Philosophie wird zu einer bloßen Mitursache. Proklos hat an dieser Rangordnung zwischen Philosophie und Theurgie im Grunde nichts mehr geändert; er hat sie lediglich theoretisch eingehender begründet als Jamblich. Diese Entwicklung entbehrt nicht der inneren Konsequenz. Sie ist letztlich in der absoluten Transzendenz des Einen begründet, die sogleich am Anfang des Neuplatonismus als Axiom feststeht. Der Ersatz der philosophisch orientierten Mystik durch die Theurgie bei Jamblich ist ein Zugeständnis an etwas der Philosophie Wesensfremdes, an magische Vorstellungen, die aus der Volksz'eligion bekannt waren. Insofern ereignet sich bei Jamblich eine entscheidende Wendung innerhalb des neuplatonischen Denkens. Jamblich wird zu einer Schlüsselfigur für das Verständnis der späteren Neuplatoniker. Eine eingehende Darstellung über die Bedeutung von Gebet und Opfer in der neuplatonischen Philosophie fehlt bisher. Die Arbeiten 1) Vgl? H. DÖRRIE, Porphyrios als Mittler zwischen Plotin und Augustin, Miscellanea Mediaevalia 1 (1962) S. 41. 2) Zum Wesen der Theurgie s.u.S. 35,"1. von SCHMIDT^und DES PLACES^umfassen einen zu weiten Zeitraum, um den Neuplatonismus eingehend behandeln zu können. Diese Untersuchung stellt sich die Aufgabe, die Zeugnisse der Neuplatoniker über das Gebet herauszustellen, sie als philosophisch-theologische Aussagen der betreffenden Philosophen zu erfassen und an der unterschiedlichen Dogmatik dieser Aussagen einen Leitfaden zu gewinnen, der den Leser durch die Entwicklung der neuplatonischen Philosophie von drei Jahrhunderten führt.