Beschreibung:

275 S., Broschur.

Bemerkung:

Mängelexemplar-Kennzeichnung auf unterem Seitenschnitt (Strich), sonst sehr guter Zustand. Die Voraussetzungen und Bedingungen der Staatlichkeit, und mit ihnen die Bedeutung dieses Begriffes überhaupt, haben sich in den letzten zwanzig Jahren entscheidend geändert. Die Stellung des staatlichen Hoheitsanspruches dem Recht gegenüber war während des letzten Jahrhunderts bis zur Hilflosigkeit zweifelhaft geworden. Es zeigte sich immer deutlicher, daß in Wahrheit, trotz aller Vernunft- und Erfahrungslehren der Neuzeit, keine tragfähige Gesamtkonzeption den staatlich-politischen Lebensanspruch mit rechtlichen Vorstellungen, soweit sie über einen bloßen nationalen Rechtspositivismus hinausgingen, in einen Zusammenhang gegenseitiger Bedingtheit bringen konnte. Zum Teil wurde aus dieser Erkenntnis gefolgert, daß die Rechtswissenschaft es nur mit der Ermittlung der Gültigkeit von Rechtssätzen, nicht aber mit deren Qualität zu tun haben könne. Zum anderen Teil aber wurde das Problem einfach beiseite geschoben. Das neunzehnte Jahrhundert stellte derart gewaltige Aufgaben in der Ausgestaltung des positiven Rechts, daß die Juristen genug zu tun hatten; die überkommenen oder neu gewonnenen politischen Denk- und Lebensformen hielten zunächst stand, ohne daß man genötigt war, sich über ihre prinzipielle Vereinbarkeit mit weiteren als nationalen Rechtsvorstellungen Gedanken zu machen. Eine solche Besinnung schien praktisch weder notwendig noch auch nur möglich. Der erste Weltkrieg erschütterte diese Ruhe. Die tiefer Sehenden reagierten auf diese Situation mit zwei verschiedenen, zu extremer Gegensätzlichkeit führenden Lehren. In Deutschland stehen sich, als ausgeprägteste Formulierungen dieser gegensätzlichen Standpunkte, der empörte Protest Leonard Nelsons gegen die ?Rechtswissenschaft ohne Recht? und der machtverfallene gesetzesfreie Radikalismus Carl Schmitts gegenüber. Forderte der erste mit einer aus Verzweiflung blinden Naivität die Herrschaft der Vernünftigen, und sah er deswegen, wie schon Plato, das eigentliche politische Problem in deren Auslese und Erziehung, so verkündete der andere die geistige und zugleich geschichtliche Notwendigkeit in einer säkularisierten Epoche, das eigene Bewußtsein und die in ihm zum Ausdruck kommende Entscheidung zum Ausgangssatz der Rechtsordnung zu machen, ohne dabei an die Qualität dieses Bewußtseins irgendwelche näher definierten Ansprüche zu stellen. Nelsons Lehre ist allein deshalb nicht rein utopisch zu nennen, weil der Grund seiner Empörung, die Rechtlosigkeit des Rechts mit ihren rechtsvernichtenden Folgen, nur allzu schicksalsträchtig war. Carl Schmitt wirkte destruktiv, aber nicht in seiner Erkenntnis der rechtsbegründenden Kraft der durch das Sein verkörperten Entscheidung; denn ohne diese Erkenntnis gibt es kein praktisches staatsrechtliches Denken. So war auch seine Schilderung der staatsrechtlichen Verhältnisse zu ihrer Zeit durchaus realistisch. Destruktiv war vielmehr sein Mangel an Empörung über die Machtlosigkeit des Gedankens gegenüber einem gedankenlosen Lebenswillen. Die Situation, welche derart entgegengesetzte Würdigungen fand, wie sie uns in dem Wunschbild einer allgemeinen logisch-vernünftigen Einsicht einerseits, und in der Hinnahme des Willens als der einzig wirksamen Vernunftäußerung auf der anderen Seite entgegentreten, hat, wie gesagt, eine entscheidende Änderung erfahren. Sie liegt darin, daß eine allgemeinere Rechtsidee, als sie durch die engeren staatlichen Zwecke beansprucht wird, zur konkreten Daseinsbedingung des Staates geworden ist, indem sich der für den Staat notwendige Leistungsbereich mit Mitteln einzel-souveräner Willensorganisation nicht mehr erfassen läßt. Der Staat ist heute auf Kräfte angewiesen, die er in eigener Souveränität nicht hervorbringen kann, und die ihm nur auf Grund fremder oder mit Fremden gemeinsamer Willensbildung zur Verfügung stehen. Wichtiger noch als diese Tatsache selbst ist es, daß diese Bedingtheit aus verschiedenen einander ergänzenden und unterstützenden Gründen in das staatstragende Bewußtsein der im Staat artikulierten Völker auf einem erheblichen Teil der Erde unaufhaltsam eindringt. Denn das Verhältnis von Freund zu Feind, auf das Carl Schmitt als auf eine Bedingung der Staatlichkeit hinwies, ist ersichtlich zur Frage von Leben und Tod nicht nur des einen von beiden, sondern beider zugleich geworden. (aus der Einleitung)