Beschreibung:

4°. 124 S. (gelber Privateinband, Buchblock original), gebundene Ausgabe.

Bemerkung:

Ein gutes Ex. - Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Ist. für Orientforschung / Nr. 10. - Die Geschichte des Sinuhe nimmt in der großen Literatur der älteren Zeit, der des mittleren Reiches, die wir als die klassische ansehen dürfen und die auch von den Ägyptern selbst so gewertet worden ist1, in mehrfacher Beziehung eine besondere Stellung ein, ja man kann sagen, daß sie in ihrer Art im ganzen ägyptischen Schrifttum kaum ihresgleichen hat. Dies Besondere, in gewissem Sinne Einzigartige der Erzählung, beruht, von ihrem Inhalt und von ihrer vollständigen Erhaltung und von der ungewöhnlich reichen und gesicherten Überlieferung ihres Textes ganz abgesehen, auf ihrem Umfang und ihrer inneren Geschlossenheit und liegt weiter vor allem in der Art, wie sie erzählt ist als ein Meisterwerk der ägyptischen Kunstprosa2, soweit es überhaupt passend ist, diese Bezeichnung auf das Ägyptische anzuwenden. Den Umfang und die innere Geschlossenheit der Sinuhegeschichte zu betonen ist nicht unangebracht, wenn man einmal überlegt, wie es damit bei ägyptischen Büchern überhaupt steht. Denn über den Umfang sowohl als auch über die wirkliche Vollständigkeit, die innere Geschlossenheit so oder so als literarisch zu bezeichnender ägyptischer Texte gibt man sich als Fernerstehender leicht sehr falschen Vorstellungen hin, wenn man etwa an viele stattliche Totenbücher oder an die Zwanzig-meterrolle des Papyrus Ebers oder an den Großen Papyrus Harris denkt. Solche nur schriftmäßigen Bücher scheiden für die Frage nach dem Umfang ägyptischer Texteinheiten überhaupt aus. Es sind Sammelwerke, bestehend aus vielen Sprüchen für den Toten, aus fast 900 einzelnen medizinischen Traktaten, Diagnosen, Rezepten und Besprechungen, oder aus Listen zusammengeklebt, deren beträchtliche Länge im einzelnen zudem nur stoffmäßig bedingt ist. Was wir an größeren literarischen Texten tatsächlich besitzen, ist auch in seinen umfänglichsten Stücken nach unseren Maßstäben nicht eben sehr lang. Die Lebensgeschichte des Sinuhe würde in vollständiger Übersetzung etwa 12 Seiten des Formats des vorliegenden Buches beanspruchen, die Klagen des Bauern etwa ebenso viele, das Märchen von den zwei Brüdern etwa 10 Seiten, die Weisheit des Ptahhotep etwa 11 und die Geschichten3 von Horus und Seth etwa 10. Und diese Texte gehören schon zu den umfangreichen. Das umfänglichste scheinbar einheitliche Werk (und als solches wird es doch anzusehen sein und nicht als ein Sammelwerk nach Art des Ebers), das uns bisher bekanntgeworden ist, dürfte das im Papyrus Edwin Smith nur etwa zur Hälfte des ursprünglichen Ganzen erhaltene chirurgische Handbuch sein; ich möchte glauben, daß es vollständig weit mehr als den doppelten Umfang der Geschichte des Sinuhe gehabt hat. Die meisten Bücher sonst sind beträchtlich kürzer als die soeben genannten. Und diese Kürze, dieser verhältnismäßig geringe Umfang der ägyptischen literarischen Einheiten ist offenbar etwas für die ägyptische Literatur Bezeichnendes. Sie besteht, von den wenigen fortlaufend erzählten Märchen und verwandten Geschichten abgesehen, überhaupt sehr wesentlich aus kurzen Sprüchen allerlei Art oder aus kleinen Versgruppen, die vielfältig zu größeren literarischen Gebilden zusammengefügt sind. Wir müssen solche uns vorliegenden Zusammenstellungen als Einheiten hinnehmen, ohne in der Regel erkennen zu können, warum sie gerade so kurz oder so lang geformt sind und ob wir sie vollständig besitzen. Denn in sich fest gefügt, gedanklich abgeschlossen und ihren Umfang mit innerer Notwendigkeit so oder so begrenzend, sind sie nur in einzelnen Fällen. Zumeist gleichen die Gedankenreihen einer solchen äußerlichen Einheit einem Wasserlauf, der an einer bestimmten Stelle abgedämmt ist, der aber ebenso gut auch noch eine Strecke weiter fließen könnte, der jedoch unter Umständen und ohne Schaden auch schon früher hätte zum Stillstand gebracht sein können. Das gilt für die Weisheitslehren als lose Aneinanderreihungen einzelner bedeutungsvoller Aussprüche, das gilt auch vielfach sonst, etwa für die Hymnen an die Gottheiten, für die Lieder auf den König, gilt für die ?Mahnworte eines Propheten" (? Admonitions) und für die Klagen des Bauern und noch für so manchen anderen scheinbar in sich geschlossenen Text. Ein innerer Zwang zur Vollständigkeit ist nicht erkennbar: der preisenden Aussagen über die Gottheit oder über den König könnten auch weniger oder auch mehr sein, der Weise hätte seine mit ?sehet!" oder mit ?es ist doch so" eingeleiteten Aussprüche auch noch um einige oder viele vermehren oder kürzen können, der beredte Bauer seinen verschiedenen Klagen auch andere ähnlichen Inhalts zufügen dürfen, ohne daß der Eindruck der Ganzheit dieser Werke, für uns jedenfalls, gestört würde4. Und bei den medizinischen Lehrbüchern, welche Diagnosen für bestimmte Erkrankungen zusammenfassen (das gilt auch für das chirurgische Handbuch des Papyrus Edwin Smith), steht es nicht grundsätzlich anders: wenn diese oder jene fehlte, würden wir es nicht bemerken, da uns jeder Anhalt mangelt, die Folge der verschiedenen Diagnosen usw. oder ihre Vollzähligkeit nachzuprüfen. Daneben gibt es selbstverständlich auch echte literarische Einheiten solcher Entstehungsweise, welche auch uns erkennbar wirklich vollständig sind: dem zweiten der Lieder auf Sesostris den Dritten mit seinen neun Versen, deren fünfter als betonte Mitte des Ganzen ?deine Macht" nennt statt des bloßen ?dein" und ?du" der Verse vorher und nachher, fehlt kein Glied und ihm ließe sich auch keins anfügen, ohne daß die Form zerbrochen würde, und das Lied mit auf- und absteigender Formung des Malers Nebre auf der Berliner Stele ist so, wie es uns vorliegt, ein vollendetes und in sich geschlossenes Kunstwerk5. Und derartiger literarischer Einheiten aus innerem Zwang gibt es mehr, wenn ihrer auch nicht eben viele sind.