Beschreibung:

Der im asiatischen Raum wahrscheinlich als Schablonen für Porzellanmalerei bereits im 12. Jahrhundert gebräuchliche Scherenschnitt ging in Westeuropa aus der im 18. Jahrhundert verbreiteten Kunst des Schattenrisses hervor. Benannt nach dem französischen Finanzminister Étienne de Silhouette, auf dessen sprichwörtlichem Geiz die Anekdote basiert, er habe sein Haus statt mit Ölbildern mit schwarzen Scherenschnitten ausgestattet, war die in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts aufkommende Bezeichnung ,Silhouette' zunächst ein negativer Ausdruck für ,billige Kunst'. Die Silhouette knüpfte jedoch an eine Tradition an, welche ihre abwertende Bedeutung schnell überblendete. Nach der von Plinius dem Älteren überlieferten Legende ist der Schattenriss nämlich der eigentliche Ursprung der Malerei: Eine junge Korintherin hatte den Schatten des Kopfes ihres zur Seefahrt aufbrechenden Geliebten auf einer Wand nachgezeichnet. Diese Legende beinhaltet jene beiden wesentlichen Momente, die den Schattenriss in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer alle Gesellschaftsschichten durchziehende Mode hat werden lassen. Zum einen stellt der Schattenriss ein authentisches Abbild her, zum anderen ist er eine Projektionsfläche der Sehnsucht. Aus dieser Verbindung von Realismus und Imaginationspotenzial schöpft der von der Darstellung des menschlichen Profils losgelöste Scherenschnitt. Der Schatten wird zum künstlerischen Material, mit dem szenische Darstellungen geschaffen werden, die eine hohe Affinität zum Märchenhaft-Phantastischen aufweisen und dabei zugleich authentisch wirken. Daher war der Scherenschnitt nicht allein für die Aufklärung und Empfindsamkeit, sondern ebenfalls für die Romantik, den Klassizismus und das Biedermeier relevant. Diese Kunst erfreute sich bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein großer Beliebtheit und wurde von so unterschiedlichen Künstler wie Philipp Otto Runge und Henri Matisse ausgeübt.