Beschreibung:

/ 2002; 1994; 2010. Jew. ca. 40 S.; durchgehend illustriert. Geheftet; in Pp.-Schuber.

Bemerkung:

Sehr gute Exemplare. - Pp.-Schuber signiert. - Der Maler Günter Tiedeken hat sich in seinem bildnerischen Schaffen dem Tonerlebnis moderner Musik derart genähert, daß man sagen könnte, er unterliegt gegenwärtig den Gesetzmäßigkeiten völliger Auflösung der tonalen Bindungen. Man denke an Arnold Schönberg, dessen formale Innovationen zu einem Funktionswechsel des musikalischen Ausdrucks geführt haben. Adorno sagt hierzu: "Es sind nicht Leidenschaften mehr fingiert, sondern im Medium der Musik unverstellt leibhafte Regungen des Unbewußten, Schocks, Traumata registriert. Sie greifen die Tabus der Form an, weil diese solche Regungen ihrer Zensur unterwerfen, sie rationalisieren und sie in Bilder transponieren." In einem emotional übersteigerten Expressionismus sprengt der Maler Tiedeken förmlich die überkommene Ästhetik. Und wie in der anarchischen Freiheit der Musik sind die Ausdrucksprotokolle Tiedekens triebhaft entstanden, allein dem verbogenen Willen und dem Unterbewußten als eine Art traumatische Botschaft unterworfen. In gewisser Weise waren Gedichte von Nelly Sachs der Auslöser für den konsequenten Weg ins Abstrakte, in die Gegenstandslosigkeit seiner Kunst. Zwischen 1988 und 1990 entstanden Bilder auf Japanpapier, die als Antwort auf gelesene Gedichte von Nelly Sachs zu werten sind. Einige davon erschienen in dem bibliophilen Gedichtband "Wegweiser ins Ungesicherte". Simone Weil hatte einmal davon gesprochen, daß dem vollkommenen Kunstwerk "etwas wesenhaft Anonymes" eigen sei. "Es ahmt die Anonymität der göttlichen Kunst nach", lesen wir da. Vielleicht könnte man die Versuche Tiedekens auch als eine Form der "vollkommenen Selbstaufgabe" sehen und in den Ergebnissen seiner instinktbetonten Abstraktionen etwas von jenem "Leuchten der göttlichen Anonymität" feststellen. Hier schwingt manches der "Art informel" mit. Wer dächte da nicht auch an die Entwicklungsgeschichte der absoluten Kunst. Tiedeken hat deren Emanationen zwangsläufig durchmessen. Wols etwa, der uns empfänglich für Form- und Farbimpulse machte mit seinem heftig aufwallenden Strichwerk, oder Emilio Vedova mit dunklen Geweben, die Gefahr und Bedrohung suggerieren, schließlich Pierre Soulages und seine heftigen malerischen Äußerungen, in Chiffren, die riesenhaft sind und an die chinesische Pinselschrift erinnern. Nur diese wenigen seien genannt. Bezeichnen sie doch eine Richtung, die auf den spontanen Ausdruck bildhafter Formen zielt. Hier geht es nicht um Harmonisierung, um Gleichgewichte von Kontrasten oder gar um Konkretes - wie bei den Konstruktivisten -, hier werden mit leidenschaftlicher Direktheit Bildzeichen gesetzt, die grenzenlos sind oder in undurchschaubare Räume sich ausbreiten, sich gleichsam lyrisch-meditativ entfalten.